Simone Carneiro
Critters
29.09.2016 - 29.10.2016Simone Carneiro, Bildende Künstlerin, lebt und arbeitet in Wien.
Wie doch die Arbeit in der Sphäre des Mathematischen das Gesicht des Naturwüchsigen annehmen kann! Wie faszinierend doch, wenn der Zufall das Steuer übernimmt und digital programmierte Prozesse plötzlich durch Paradigmen der Störung, der Abweichung, des Fehlers bestimmt werden. Jedoch abseits der Rechenzentren und Serverbatterien, die unseren Alltag takten, macht Simone Carneiro solche Phänomene visuell manifest. Ihr Operationsfeld liegt an der Peripherie der großen Datenumschlagplätze.
Die Grundlagen für ihre neuesten Arbeiten kommen aus den endogenen Zonen des digitalen Labors. Hier nehmen algorithmisch basierte Bewegungen experimentell forschenden Charakter an. Dabei richtet die Künstlerin ihren Fokus auf die Brüche an der Schnittstelle zwischen rechnerischen Abläufen und physisch greifbarer Materialität. Im Zuge der Inbetriebnahme einer Home-Printing Teststrecke zur Herstellung kleinformatiger 3D Drucke entdeckte sie per Zufall die phantastische Schönheit inadäquat geformter Druckergebnisse.
Der Mythos von der ungebremsten seriellen Produktion per 3D Print, das Narrativ unentwegter Wiederholung des Gleichen war bald unterlaufen durch die Materialisation singulärer Objekte von signifikanter Individualität. Fernab ihres ursprünglich intendierten Aussehens waren Gebilde entstanden, die vereinzelten Fossilien oder Meerestierchen glichen, wie zerfranste textile Teilchen aussahen oder eben an Schwemmgut der technifizierten Welt erinnerten.
Fasziniert von den flirrend fragilen Artefakten begann die Künstlerin ihre Prints zu sondieren und auf deren visuelle Qualitäten hin zu untersuchen. Mehrere bildgebende Verfahren durchliefen sie seither: von ihrer Generierung am Computer aus abstrakten Algorithmen heraus über die Aufzeichnung per Smartphone bis hin zur Übertragung ins Medium der Lithografie.
Tatsächlich handelt es sich um schemenhafte Abbildungen von Fundstücken, zugleich um Chimären des Hyperrealen. Deutlicher ließe sich die Dimension des Postmedialen in der aktuellen Kunst kaum beschreiben: eine durch und durch digitale Produktionsweise spiegelt sich in einem alten, geradezu klassischen Abbildungsverfahren.
Simone Carneiro vertieft damit einen Diskurs, den sie bereits in den späten 1990er Jahren aufnahm als sie im Kontext von Techno Visuals konzipierte, in die sie – auf Grund von Unzulänglichkeiten der Hardware – technische Störungen integrierte. Die Glitch Bewegung setzte damals die technische Fehlschaltung bewusst als ästhetisches Gestaltungsmittel ein. Glitch Art ließ Audio-Files repetitiv dahinstottern und zerlegte Bildschirm-Informationen in minimalistische Geometrien. Diese Annäherung an digitale Konzepte führt sie auf der Ebene der 3D-Prints weiter.
Im Wirbel der Zeichensysteme allerdings beginnt der Begriff des Fehlers seine Konturen zu verlieren. Allerspätestens seit Fluxus werden die Medienmaschinen gegenläufig bedient und projektbezogen recodiert. Schon an den ersten Apparaten des Informationszeitalters wie Radio oder Telefon ist weniger deren Funktionieren, sondern deren freie Bedienung von Interesse. Auf dem Terrain der Kunst ist auch die Anti-Produktion, ist auch das Nicht-Funktionale eine Dimension von Produktion.
Verbunden mit dieser Sichtweise behält die Künstlerin Simone Carneiro stets eine merkbar kritische Distanz gegenüber der jeweiligen Technologie und deren Mythen des Fortschritts. Jedoch verbleibt Carneiro dabei auf der Ebene des Spiels gespeist von einem Schuss Ironie. Tatsächlich versucht sie mit ihren aktuellen Arbeiten eine neue Interpretation des Mediums der Lithografie, indem sie verschiedene Layer des Visuellen aus unterschiedlichen Zeitaltern miteinander verschneidet. Deren Motive jedoch benennt sie – weit weniger ernst – nach den kuscheligen Monstren einer Jahrzehnte alten B-Movie Serie für Jugendliche.
Roland Schöny, Kurator für Gegenwartskunst
Simone Carneiro lässt sehr schöne Monster landen. Und das, indem sie einen komplexen Prozess, gezeichnet und getragen durch mehrere verblüffende Brüche, Zufälle, Übertragungen, zu ihrem spielerisch-automatischen Geburtskanal macht.
Am Anfang steht der bewusste Fehldruck von digitalen 3-D-Objekten. Hier besteht ihre Geburtshilfe nur in der Wahl eines alten und etwas kaputten Geräts. Die Fehler macht es dann schon von selber.
Als nächstes kommt die Photographie der Früchte der Verfehlung, die durch präzise Unterbrechung des Prozesses gewonnen wurden. Dann, durch einen Zufall ausgelöst, werden diese einem Druckverfahren zugeführt, das in seiner Archaik große Nähe zur Lithographie aufweist, obwohl es eher einer weiteren Variante der Photographie, also der chemisch inszenierten Belichtung präparierter Flächen, gleicht.
Durch alle Stufen der Herstellung hindurch lässt Carneiro eher geschehen als dass sie aktiv herstellt. Und doch sind die Ergebnisse in all ihrer poetischen Streuung geladen von Entschiedenheit.
Textextrakt: Wie Monster Landen, K. T. Zakravsky